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Channel: Strafblog » gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
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Eine reichlich unnötige Hauptverhandlung. Die Kosten trägt die Landeskasse.

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rp_SAM_0307-300x200.jpgFünf zur Tatzeit noch unter 21 Jahre alte junge Männer mussten sich heute vor der Jugendrichterin beim Amtsgericht Viersen wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung und des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verantworten. Vier davon sind durch Anwälte unserer Kanzlei vertreten worden, der fünfte verteidigte sich selbst.

Die fünf Freunde sollen in der Nacht auf den 1. Mai 2013, also schon vor mehr als eineinhalb Jahren, von einem Disco-Besuch kommend durch die Straßen gezogen sein und Randale gemacht haben. Im Vorgarten eines Grundstücks sollen sie 2 Bäume abgeknickt haben. An einem  in der Nähe auf einem Bauhof stehenden Bagger sollen sie eine Seitenscheibe und einen Außenspiegel zerschlagen haben. Und schließlich, das war der schwerste Vorwurf, sollen sie mehrere Gully-Deckel aus ihrer Fassung gehoben und daneben auf die Straße gelegt haben, wodurch eine erhebliche Gefahr für den  Straßenverkehr entstanden sei.

Nach Aktenlage haben wir Verteidiger zumindest in den meisten Punkten mit einem Freispruch gerechnet. Zwar gab es ein paar Augenzeugen, die in der besagten Nacht einige vage Beobachtungen gemacht hatten. Es müssen in der Gegend wohl mehrere Gruppen von jungen Leuten unterwegs gewesen sein, von denen einige Randale gemacht haben sollen. Erkannt worden ist von den Augenzeugen niemand. Einer der jetzt angeklagten jungen Leute war auf einem Bahngleis in der Nähe des Tatgeschehens von einer Polizeistreife angehalten und befragt worden. Angeblich soll er gesagt haben, er sei “dabei gewesen”, hätte aber nichts gemacht. Außer, dass er sich aus Jux gegen eine Tanne hätte fallen lassen, um sich zurückschleudern zu lassen. Dabei sei die Tanne, womit er nicht gerechnet hätte, abgebrochen. Bei welchen Taten er ansonsten dabei gewesen sei, ist nicht so richtig erfragt worden. Aber er hat immerhin gesagt, mit wem er unterwegs war. So sind dann auch die anderen Angeklagten ermittelt worden.

Unklar blieb nach Aktenlage, wer den Mann  befragt hat. Da gab es einige polizeiliche Vermerke, aber die verhielten sich nicht dazu. Genau so unklar bleib auch, ob er vor seiner Befragung über sein Schweigerecht belehrt worden war. Dazu stand in den polizeilichen Vermerken nichts. Die Staatsanwaltschaft hatte 6 Monate nach dem Aufgriff  bei der Polizei nachgefragt. Ein Polizeibeamter hatte  daraufhin bekundet, es habe sich um eine “Spontanäußerung” gehandelt, für die es keiner Belehrung bedarf. Abgesehen davon, dass es schon erstaunlich war, dass sich der Beamte nach 6 Monaten noch daran erinnern konnte, stand im Einsatzbericht aber, der Beschuldigte sei befragt worden, ob er mitgemacht hätte. Das hört sich doch wohl eher nach einer polizeilichen Befragung, also nach einer Vernehmung, und nicht nach einer Spontanäußerung an, oder irre ich mich?

Wegen der abgeknickten Tanne hatte sich der junge Mann am nächsten Tag bei der Eigentümerin entschuldigt und dieser einen Blumenstrauß mitgebracht. Er hatte auch seine Bereitschaft erklärt, den Schaden zu ersetzen. Darauf hatten die Frau und ihr Ehemann aber verzichtet.

Zur  heutigen Hauptverhandlung waren etliche Zeugen, darunter mehrere Polizeibeamte, nicht erschienen. Sie hatten sich krank gemeldet. Zwei andere Zeugen waren, wie sich herausstellte, schon vor einiger Zeit nach Neuseeland ausgewandert. Die anwaltlich vertretenen Angeklagten haben sich auf Rat der Verteidigung dahingehend geäußert, dass sie jeglichen Tatbeitrag bestreiten, ansonsten aber keine weitergehenden Angaben machen wollten. Nur derjenige, der gegen die Tanne gesprungen war  und sich hierfür entschuldigt hatte, hat das auch eingeräumt. Der anwaltlich nicht vertretene Angeklagte hat angegeben, sich nach der Disco von den anderen getrennt zu haben und gemeinsam mit einem als Zeugen aufgebotenen Freund mit dem Taxi nachhause gefahren zu sein. Das hat der Freund auch so bestätigt.

Wir Verteidiger haben angeregt, das Verfahren gegebenenfalls wegen Geringfügigkeit gem. § 153 StPO einzustellen, um einen zweiten Verhandlungstag, an dem dann die fehlenden Zeugen gehört werden müssten, zu vermeiden. Da aber ersichtlich ein Freispruch naheliege, müssten nicht nur die Verfahrenskosten, sondern auch die notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt werden. Nur bei dem, der die Tanne abgeknickt hätte, könne hierauf verzichtet werden.

Der Sitzungsstaatsanwalt wollte, was sein gutes Recht ist, wenigstens die erschienenen Zeugen hören, bevor er sich zu dem Vorschlag äußere. Die konnten dann in der Tat nicht viel Sachdienliches beitragen. Niemand hat einen der Angeklagten erkannt. Eine Polizistin, die beim Aufgriff des einen Angeklagten anwesend war, erkannte diesen zwar nicht wieder, meinte aber, sie sei sicher, dass er vor seinen Äußerungen belehrt worden sei. Ob sie das selbst gemacht habe oder der Kollege, das wisse sie nicht mehr. Warum die Belehrung nicht protokolliert worden sei, wisse sie auch nicht. Sie mache das aber immer so, auch wenn sie es im vorliegenden Fall nicht mehr konkret vor Augen habe. Wieso der Kollege dann von einer Spontanäußerung gesprochen habe, wollte ich wissen. Das könne sie auch nicht sagen, sie habe ja keine konkrete Erinnerung, lautete sinngemäß die Antwort. Der andere Polizeizeuge wusste nur noch, dass er niemanden vernommen habe. Ob Spontanäußerung oder nicht, dazu könne er nichts sagen. Jedenfalls sei der Mann ja auch mächtig angetrunken gewesen, er hätte ja froh sein können, dass er noch aufrecht gehen konnte. Ob eine Belehrung, wenn sie denn erfolgt wäre, in so einem Zustand überhaupt noch Sinn gemacht hätte, habe ich gefragt. Wohl eher nicht, meinte der Beamte.

Da auch keiner der anderen Zeugen jemanden wiedererkannt hat, ist das Verfahren schließlich entsprechend unserem Vorschlag eingestellt worden. Die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen von vier der fünf Angeklagten wurden der  Staatskasse auferlegt. Bisweilen ist es schon verwunderlich, warum bei einer solch absehbaren Beweislage überhaupt Anklage erhoben und das Verfahren eröffnet wird. Bei der knappen Ressource Justiz wären da andere Lösungen pragmatischer gewesen. Hinzu kommt auch noch, dass insbesondere in Jugendstrafverfahren die Verhandlung unter erzieherischen Gesichtspunkten auf dem Fuße folgen soll. Nach 20 Monaten ist dies wohl nicht mehr der Fall.

 

 


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